2024 droht die deutsche Wirtschaft erneut in eine Rezession abzurutschen. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer fürchtet sogar die größte Wirtschaftskrise seit 20 Jahren. Was sind die Gründe dafür?
Laura Dorfer: Auch im laufenden Jahr dürfte es angesichts hoher Zinsen, teurer Energie, geopolitischer Risiken und einer verhaltenen Weltkonjunktur keinen Boom geben. Die Gründe liegen auf der Hand. Klimawandel, geopolitische Verwerfungen und Kriege prägen unsere Zeit. Die europäische und die deutsche Wirtschaft stehen vor großen Herausforderungen wie dem Umbau der Energieversorgung, der Demografie und der Digitalisierung. Gleichzeitig hat die Politik mit knappen öffentlichen Kassen zu kämpfen. Um diese Herausforderungen zu meistern, treten wir als VDMA für einen starken Maschinenund Anlagenbau ein. Die letzten Jahre waren von kurzfristigem Krisenmanagement geprägt. Jetzt ist es aus unserer Sicht an der Zeit, die Sicherung der langfristigen internationalen Wettbewerbsfähigkeit seitens der Politik stärker in den Blick zu nehmen.
Die anhaltende konjunkturelle Flaute hinterlässt auch im Maschinenbau Spuren. Wie schätzen Sie hier die Lage ein und wie sind die Perspektiven für die Armaturenindustrie?
Laura Dorfer: Die Stimmung der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer ist zum Jahresauftakt 2024 gedämpft. Bei Investitionen und Neueinstellungen ist aufgrund der hohen Unsicherheit nach wie vor eine starke Zurückhaltung spürbar. Die Auftragspolster sind in den vergangenen Monaten geschmolzen. Die Auftragsbilanz für das Jahr 2023 fällt mit einem realen Rückgang von 12 Prozent sehr unerfreulich aus. Zwar bestehen auch Chancen, die sich aus den Trendthemen Digitalisierung, dem Aufbau resilienter Lieferketten und der Dekarbonisierung ergeben. Aber wir gehen nicht davon aus, dass diese Positivfaktoren bereits in diesem Jahr alle belastenden Faktoren kompensieren können. Das gilt auch für die Armaturenindustrie. Die Industriearmaturenhersteller haben sich allerdings im vergangenen Jahr besser geschlagen als der Maschinenbau insgesamt. Dabei blieben die Aufträge trotzdem real 4 Prozent unter ihrem Vorjahreswert. Noch ist eine eindeutige Trendwende nicht erkennbar. Vor allem in Deutschland gingen die Aufträge in den letzten Monaten deutlicher zurück. Auf den Märkten im Ausland sind die Armaturenhersteller dagegen noch recht gut unterwegs.
Viele Unternehmen ächzen über den hohen Bürokratieaufwand und die zahlreichen Regulierungen in Deutschland. Was kann dagegen getan werden?
Axel Weidner: Die Bürokratie hat sich inzwischen zu einem handfesten Standortnachteil Deutschlands entwickelt. Der Regulierungsaufwand auf nationaler und internationaler Ebene ist schon immens. Hinzu kommt eine enorme Dynamik, so dass fast jeden Tag neue Themen oder Regularien auf den Tisch kommen, mit denen wir uns in der Industrie auseinandersetzen müssen. Die Erfüllung von Bürokratiepflichten bindet dabei finanzielle und personelle Ressourcen, die den Unternehmen für die eigentliche Unternehmenstätigkeit, für Wertschöpfung und Innovationen nicht mehr zur Verfügung stehen. Oftmals sind hochqualifizierte Mitarbeitende damit befasst. Dies ist besonders kritisch in Zeiten von Fachkräftemangel. Vor diesem Hintergrund zeigt sich klar die Bedeutung des Verbands. Gemeinsam im Schulterschluss mit Marktbegleitern kann man die Probleme besser stemmen. Wir merken gerade in Krisenzeiten, dass sich mehr Unternehmen den Verbänden zuwenden. Wir brauchen ein Netzwerk und den Erfahrungsaustausch – und damit kann der VDMA punkten. Der Verband bietet die Möglichkeit zum compliance-konformen Austausch, bündelt die Interessen der Mitglieder und vertritt diese gegenüber den relevanten Stakeholdern. Damit ist er ein starker Partner für den Mittelstand in Krisenzeiten.
Welche Maßnahmen wünschen Sie sich von der Bundesregierung, um die aktuelle Wirtschaftskrise zu meistern?
Axel Weidner: Ich bin davon überzeugt: Nur mit einer starken, international wettbewerbsfähigen Industrie wird Deutschland den Weg in eine klimafreundlichere Zukunft meistern. Gute Wirtschaftspolitik setzt auf die Gestaltung günstiger allgemeiner Rahmenbedingungen und ein wachstumsfreundliches Umfeld, in dem Unternehmen eigenverantwortlich um die besten Lösungen wettstreiten. Dazu muss etwa die Steuerbelastung auf ein international übliches Niveau abgesenkt sowie das Unternehmenssteuerrecht modernisiert und entbürokratisiert werden. Steuererhöhungen sind generell und erst recht in Krisenzeiten der falsche Weg. Bürokratieabbau ist dagegen gerade in Zeiten eines rückläufigen Wachstums ein kostenloses Konjunkturprogramm. Neue Gesetze und Verordnungen sollten anwenderorientiert ausgestaltet werden und vor Verabschiedung durch Praktiker aus den Unternehmen auf Umsetzbarkeit geprüft werden. Gleichzeitig gilt es, den Zufluss neuer, meist kleinteiliger Berichts- und Informationspflichten zu stoppen. Neben den nationalen Bestrebungen gehört es auch dazu, für ein starkes Europa einzutreten. Dies lässt es aber auch notwendig werden, Kante gegenüber Brüssel zu zeigen, wenn entsprechende europäische Vorstöße überambitioniert sind. Wir begrüßen als VDMA Armaturen daher sehr, dass die FDP sich klar gegen ein Europäisches Lieferkettengesetz ausgesprochen hat.
Eine Maßnahme ist der geplante Industriestrompreis. Reicht das, um der deutschen Industrie weiterzuhelfen?
Laura Dorfer: Der Strompreis ist ein Standortfaktor im internationalen Wettbewerb. Höchste Priorität für die Bundesregierung muss daher auch aus Sicht des VDMA Armaturen die allgemeine Dämpfung der Energiekosten haben. Das Konzept eines Industriestrompreises betrachten wir jedoch kritisch. Wir befürchten darin, eine teure, nicht kalkulierbare Dauersubvention mit der Gießkanne. Sinnvoller und vor allem nachhaltiger wären stattdessen Systemmaßnahmen wie Netzausbau, Backup-Kraftwerke, aber vor allem auch strukturelle Ansätze zur zügigen Ausweitung des Angebots von Strom. Insbesondere wird es für unsere Standortwettbewerbsfähigkeit entscheidend sein, bezahlbaren Strom zu erhalten. Zugleich müssen wir unsere Souveränität und Resilienz in der EU stärken. Ein Wettbewerbslauf um Subventionen in der EU ist dagegen im Interesse des Wirtschaftsstandorts Europa zu vermeiden.
Welchen Einfluss hat ein kleiner Wirtschaftszweig wie die Industriearmaturenbranche für die gesamte deutsche Wirtschaft?
Axel Weidner: Aus gutem Grund gilt der Mittelstand als Motor der deutschen Wirtschaft. Mittelständische Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, bilden junge Menschen aus und prägen durch ihre Investitionen die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Das gilt auch für die vorwiegend mittelständisch geprägte Armaturenbranche. Ein gutes Beispiel ist etwa das Thema Nachhaltigkeit. Die Betriebe sind oftmals lokal fest verankert und engagieren sich stark in der Region. Zahlreiche Armaturenhersteller arbeiten bereits seit Jahren nachhaltig und bieten ein breites Spektrum an Produkten und Lösungen in dieser Richtung. Egal ob Wasserstoff, Biogas, LNG oder Windkraft, die Armaturenindustrie zählt zu den wesentlichen Enablern des Klimawandels und wir sind stolz darauf.
Welche technologischen Trends werden in den kommenden Jahren die deutsche Industrie prägen?
Axel Weidner: In den nächsten Jahren werden sich viele neue Anwendungen für KI finden, in unseren Unternehmen, in der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheitswesen, wohl in allen Bereichen unseres Lebens. In den Industrieunternehmen wird diese Entwicklung alle Bereiche betreffen, Qualitätssicherung wie Vertrieb und Kommunikation mit Kunden, Steuerung der Produktion und Personalverwaltung, Konstruktion und Entwicklung neuer Produkte sowie Steuerung und Optimierung aller internen und externen Prozesse. Das wird hoffentlich bei der allgegenwärtigen Personalknappheit und den Herausforderungen durch die Kostenschraube unterstützen. Dabei wird die Balance zwischen der automatisierten Verarbeitung von Daten und Bürokratieabbau und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des Einzelnen eine große Herausforderung bleiben.
Wie wollen Sie die Betriebe bei den zukünftigen Herausforderungen unterstützen?
Laura Dorfer: Digitalisierung als wichtiges Grundthema der Branche hat der VDMA natürlich schon sehr lange auf dem Schirm. Predictive Maintenance, die vorausschauende Instandhaltung, hat sich beispielsweise zu einem Schlüsselelement in der Industrie entwickelt, das auch für die Herstellung von Industriearmaturen relevant ist. Vor diesem Hintergrund haben wir seitens des VDMA Armaturen Anfang des Jahres eine Innovationstour durchgeführt, bei der wir Experten aus der Branche mit einem Anwender zusammengeführt haben, um aktuelle Entwicklungen, Erfahrungen und Herausforderungen im Kontext der vorausschauenden Instandhaltung von Industriearmaturen zu diskutieren und neue Idee für Geschäftsmodelle zu entwickeln. In unseren Forschungs- und Technikgremien sprechen wir regelmäßig über neueste Themen und Trends und loten Ideen für gemeinsame Forschungsvorhaben aus. Wir unterstützen somit unsere Mitglieder dabei, am Puls der Zeit zu bleiben und sich zukunftsgerecht am Markt aufzustellen.
Trotz trüber Aussichten, was sind Ihre Hoffnungen und Erwartungen für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr?
Axel Weidner: Das Jahr 2024 beginnt so wolkenverhangen, wie es schon 2023 geendet hat. Es scheint äußerst fraglich, ob sich die Großwetterlage in den nächsten Monaten verbessert. Viele Exportmärkte haben durch strukturelle Veränderungen teilweise erhebliche Einbußen erlitten, politische Konflikte erschweren sichere Prognosen. Die Binnennachfrage ist durch die Verunsicherung der Menschen geschwächt. Der Strukturwandel in Deutschland, der eng mit der schwächelnden Automobilindustrie und der Krise des Bausektors verbunden ist, stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Die deutsche Industrielandschaft ist geprägt durch den Fachkräftemangel, der unter anderem durch die Coronakrise und die Verrentung der Babyboomer getriggert wird. Handwerk und Industrie suchen händeringend nach Auszubildenden, was unter anderem daraus resultiert, dass das Format „Ausbildung“ ungeachtet der sehr guten Erwerbschancen immer weniger nachgefragt wird.
Langfristig blicke ich für unsere Branche dennoch zuversichtlich nach vorne. Manch andere Krise in den vergangenen Jahren hat die Armaturenindustrie bereits erfolgreich durchschifft. Die aktuellen Herausforderungen sind also eine Chance für unsere Branche, gestärkt und resilienter aus diesen Zeiten hervorzugeben. Industriearmaturen aus Deutschland zeichnen sich traditionell durch Qualität und höchste Zuverlässigkeit aus. Diese Eigenschaften sind gerade in Branchen, wie Öl und Gas, Chemie- und Pharmaindustrie oder beim Trendthema Wasserstoff Voraussetzung für langfristigen Geschäftserfolg - auch im internationalen Wettbewerb.