Auf dem Weg in eine klimaneutrale und elektrifizierte Zukunft kommt der Energieeffizienz immer noch zu wenig Aufmerksamkeit zu, wie Dr. Jan-Henning Fabian, Leiter des ABB Forschungszentrums in Ladenburg, und Mike Umiker, Managing Director Energy Efficiency Movement bei ABB, im Interview deutlich machen. Sie erklären, warum die Energieeffizienz zum ersten Treibstoff der Elektrifizierung werden muss und wie viel Energie die Industrie heute schon wo einsparen kann.
Herr Dr. Fabian und Herr Umiker, die Energieeffizienz erlebt auch dank des Green Deals und den allerorts festgelegten Klimazielen immer mehr an Bedeutung. Welche zentralen Herausforderungen sehen Sie bei der Energieeffizienz im industriellen Umfeld?
Mike Umiker: Vor welchen Herausforderungen wir aktuell bei der Energieeffizienz stehen, zeigt unsere Energieeffizienz-Studie aus dem Jahr 2022 sehr gut. An dieser Studie haben über 2.000 Personen aus 13 Ländern teilgenommen. 80 % der Befragten sind in Unternehmen tätig mit mehr als 500 Mitarbeitenden und mehr als die Hälfte sind Führungskräfte oder C-Levels bzw. Eigentümer. Laut der Studie sind fast 60 % der befragten deutschen Personen der Meinung, dass Regierungen und Dritte nicht alle Informationen bereitstellen, die für mehr Energieeffizienz notwendig sind. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass nicht alle Unternehmen die Investitionen, die für eine effizientere Energienutzung notwendig sind, stemmen können. Die hohen Investitionskosten sind für 56 % und damit mehr als die Hälfte der Befragten die größte Hürde. Mehr als ein Drittel wissen aber auch schlicht und einfach nicht, wie sie mehr Energieeffizienz erreichen können.
Eigentlich überraschend bei den aktuellen Energiekosten.
Umiker: Ja, zumal hohe Energiepreise der Energieeffizienz in die Karten spielen, da der Return on Invest sehr viel schneller erreicht werden kann. Darüber hinaus hat die Energieeffizienz einen sofort messbaren Effekt und kann vor allem ohne bürokratischen Aufwand direkt umgesetzt werden. Es braucht in der Regel keine umfangreichen Genehmigungsverfahren.
Jan-Henning Fabian: Wenn wir uns den enormen Energieund Ressourcenverbrauch der industriellen Produktion anschauen, dann wird klar, warum wir uns auch auf Seiten der Forschung immer stärker mit der Energieeffizienz beschäftigen. Natürlich haben wir uns schon lange z. B. mit der mathematischen Optimierung und der Datenanalyse befasst, aber jetzt nimmt das Thema aufgrund des technologischen Fortschritts durch beispielsweise verteilte Sensorik im Feld enorm Fahrt auf. Auch analytische KITechnologien spielen hier aktuell eine große Rolle, ganz zu schweigen von Generative AI, die aktuell in aller Munde ist.
Welchen Einfluss wird KI in Zukunft auf die Energieeffizienz haben?
Fabian: KI ist der Schlüssel, um die Optimierung auf die nächste Stufe zu heben. Das steht fest und daran gibt es nichts mehr zu rütteln. Die KI-basierte Erkennung von optimalen Betriebspunkten aber auch von Anomalien bietet sicherlich enormes Potenzial auch für die Energieeffizienz. Natürlich beschäftigen wir uns nicht erst seit Kurzem mit diesem Thema, sondern bereits seit einigen Jahren. Die gesteigerte Aufmerksamkeit in jüngster Zeit ist auf das wachsende Interesse an generativer KI zurückzuführen.
Umiker: Wir sehen den Effekt von KI auf die Energieeffizienz ganz deutlich, wenn wir auf den Gebäudesektor schauen. Dort können mit einem digitalen Gebäudemanagement und der KI-basierten Steuerung der Heizungs- und Lüftungsanlagen rund ein Viertel der Energiekosten und sogar fast 40 % der Emissionen eingespart werden. Gerade wenn es um die Energieeffizienz geht, werden generell Gebäude oft noch stark vernachlässigt.
Warum?
Umiker: Eine gute Frage. Das Potenzial ist in jedem Fall riesig, wie ein Whitepaper des World Economic Forum jetzt gezeigt hat. Dort wird von einem Energieeinsparpotenzial von 38 % allein im Gebäudebereich gesprochen, erst dahinter folgt die Industrie mit 29 %.
Welche Industriebranchen sehen Sie im Kontext der Energieeffizienz vorne?
Umiker: Natürlich sind alle energieintensiven Industrien darauf bedacht, Energie einzusparen. Besonderes Engagement stellen wir aber derzeit im Bergbau fest. In einem Projekt in einer Kupfer- und Goldmine in Sambia beispielsweise testen wir gerade elektrisch betriebene Muldenkipper, die dort perspektivisch die Dieselfahrzeuge ersetzen sollen. Auch die Lüftungssysteme in den Stollen unter der Erde können noch weiter effektiviert werden. In einem anderen Projekt konnten wir z. B. durch die modellbasierte Optimierung der Lüftung Einsparungen von etwa zwei Millionen Dollar pro Jahr für den Minenbetreiber erzielen. Trotzdem ist es industrieübergreifend so, dass der Energieeffizienz noch nicht genug Aufmerksamkeit zukommt.
Hat ABB auch deshalb die „Energieeffizienz-Initiative“ ins Leben gerufen?
Umiker: Ja, genau das war der Hintergedanke. Wir brauchen mehr Aufmerksamkeit für die Energieeffizienz in der Industrie, weshalb wir das Forum 2021 gegründet haben. Uns geht es dabei vor allem darum, Gleichgesinnte zusammenzubringen und den technologischen Austausch zu fördern. Wir versuchen gemeinsam die Frage zu beantworten, welche Lösungen es auf dem Markt gibt und wie wir sie am besten einsetzen können, um Energie einzusparen und Emissionen zu reduzieren. Inzwischen sind fast 500 Firmen Teil der Bewegung. Neben großen Tech-Konzernen sind auch kleinere Mittelständler dabei und allein in Deutschland haben sich mehr als 50 Unternehmen bereits angeschlossen.