Wann wird das der Fall sein?
Stutz: Das ist schwierig zu sagen, weil das nicht nur vom MTP selbst abhängt, sondern viele Variablen in der Gleichung sind – neben den Energiekosten und der politischen Lage auch Materialkosten zum Beispiel. Sicherlich ist es heute aber so, dass das MTP gerade beim Bau von Greenfield-Anlagen zumindest evaluiert wird.
Spitzer: Ein Stück weit stehen wir hier vor einem Henne-Ei-Problem. Heute setzen Unternehmen auf viele verschiedene Zulieferer, um sich nicht von einigen wenigen zu abhängig zu machen. Vielleicht ist das Ökosystem um das MTP herum auch schlicht und einfach noch zu klein, weil es zu wenig Anbieter gibt. Auf der anderen Seite steht die Frage, wie dieses Ökosystem wachsen soll, wenn die Nachfrage nach wie vor eher gering ist. Egal wie man es dreht, auf beiden Seiten wird nicht investiert, weil es entweder zu wenig Nachfrage oder zu wenig Lieferanten gibt. Das Ergebnis: Alle halten die Füße still und es tut sich entsprechend wenig.
Sehen Sie das MTP auch als Retrofit-Lösung für den Bestand und könnte das dieses Henne-Ei-Problem lösen?
Spitzer: Natürlich spielt das MTP seine Stärken nicht nur im Greenfield aus. Auch wenn Sie einen bestehenden Standort erweitern oder die Kapazitäten erhöhen möchten, kann das MTP das Mittel der Wahl sein.
Stutz: Am Ende kommt es dabei auch darauf an, ob ein vollmodularer Ansatz verfolgt wird, oder ob diese Anlagen dann nur zum Teil modular aufgebaut sein sollen. Mit Hilfe eines solchen hybriden Szenarios mit z. B. einem Backbone, das auf einem anderen Prozessleitsystem läuft, untersuchen wir gerade mögliche Migrationsstrategien. Generell können aber schon heute ältere Bestandsysteme über Gateway-Lösungen MTP-konform abgebildet werden. Am Ende ist das MTP eine Datei, die die Integration von automatisierten Systemen automatisierbar macht. Und alle anderen Use Cases, die darunter fallen, sind prinzipiell erst einmal möglich.
Spitzer: Was unterm Strich bedeutet, dass die Hemmschwelle für den Einsatz des MTP relativ niedrig ist. Es geht bei der Einführung dieser Technologie gar nicht darum, ganze Systeme über den Haufen zu werfen, um dann bei Null anzufangen. Bestehende Anlagen können upgegradet werden.
Sind solche Upgrade-Szenarien bestehender Anlagen vielleicht der Schlüssel für den Durchbruch des MTP?
Stutz: Natürlich kann das Hochrüsten von Brownfield-Anlagen ein Hebel sein, um das MTP breiter in den Markt zu bringen. Es gibt durchaus auch Projekte, in denen neue Versionen des Leitsystems migriert wurden, um MTP-Importe realisieren zu können oder neue Fähigkeiten nachträglich hinzuzufügen.
Trotzdem bleibt die Frage, wie die Zukunft der Modularisierung aussieht. Wie blicken Sie auf die kommenden Jahre?
Spitzer: Ein wichtiger Schritt war sicherlich, die PNO als neue Host-Organisation an Bord zu holen. Denn auch wenn es vielleicht aktuell noch nicht ganz reibungslos funktioniert, bringt sie internationale Strukturen mit, die dem ganzen Thema noch einmal einen ordentlichen Auftrieb geben können. Darüber hinaus, und da wird die PNO sicherlich auch unterstützen können, müssen wir weiterhin Aufklärungsarbeit leisten und die Anwender über die Vor- aber auch Nachteile informieren.
Stutz: Genauso wichtig wird es aber auch sein, das MTP nicht als exklusive Technologie für die Prozessindustrie zu betrachten. Schließlich weckt der Kern der Technologie auch in anderen Branchen Interesse.
In welchen zum Beispiel?
Spitzer: Neben der Feinchemie und Pharmaproduktion, wo das MTP ursprünglich entwickelt worden ist, wird die Modularisierung auch vor allem im Schiffbau und Wasser/Abwasser-Sektor nachgefragt. Das MTP ist nach Meinung von Dr. Jürgen Spitzer technologisch so weit, dass es in der Praxis zum Einsatz kommen kann. Andreas Stutz forscht am Siemens-Standort Karlsruhe an Migrationskonzepten für das MTP.
Stutz: Nicht zu vergessen die modulare Wasserstoffproduktion, wo wir tatsächlich jetzt als assoziierter Partner des Forschungsprojekts eModule im Wasserstoff-Projektverbund H2GIGA dabei sind. Auch in der Logistik und sogar der Fertigungsindustrie gibt es ebenfalls erste Pilotprojekte. Vereinfacht gesagt kann das MTP überall dort eine Rolle spielen, wo etwas integriert werden muss.
Spitzer: Weshalb wir trotzdem vorsichtig sein sollten, schließlich stellt jede Branche wiederum neue Anforderungen an die Technologie. Deswegen dürfen wir jetzt nicht versuchen, die eierlegende Wollmilchsau zu erfinden. Ein MTP, das am Ende alles kann, aber hochkomplex und teuer ist, hilft niemandem weiter.