Mona Neubaur, Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, zeigt sich im exklusiven Interview mit dem Fachmagazin IAD Industriearmaturen und Dichtungstechnik optimistisch, dass die aktuelle Wirtschaftskrise schnell überwunden wird. Die stellvertretende Ministerpräsidentin von NRW hofft auf eine Entspannung der globalen Weltmärkte und will gemeinsam mit den vielen kleinen und mittleren Unternehmen die doppelte Transformation in Richtung Klimaschutz und Digitalisierung angehen.
Geringe Produktionszahlen, fehlende Großaufträge und ein stark schrumpfendes Neugeschäft: Die deutsche Industrie befindet sich nachweislich in einer Krise. Was sind die Gründe dafür?
Mona Neubaur: Angesichts der Stapelkrisen unserer Zeit bleibt die aktuelle Lage in vielen Unternehmen angespannt. Noch immer sind die Unsicherheiten groß. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die damit verbundenen Energiepreiserhöhungen treffen insbesondere energieintensive Betriebe und Industrien, die in NRW überproportional vertreten sind. Auch der Fachkräftemangel stellt uns vor große Herausforderungen. Weitere geopolitische Konflikte, etwa im Nahen Osten, Unsicherheiten bei internationalen Lieferketten, ein verlangsamtes Weltwirtschaftswachstum und zunehmende Abschottung und Protektionismus bremsen ganz besonders eine so exportorientierte Industrie wie unsere in Nordrhein-Westfalen. Hoffnung machen mir jedoch auch die vielen Hidden Champions und zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen im Land, die ihre Stärken, vor allem ihre Wandlungsfähigkeit und Innovationskraft, schon oft bewiesen haben.
Insbesondere der Maschinenbau-Sektor hat mit den aktuellen Entwicklungen zu kämpfen. Warum trifft es gerade diese Branche so hart?
Mona Neubaur: Maschinen- und Anlagenbau ist ein globales Geschäft. Bei Exportquoten von bis zu 80 Prozent schlägt vor allem eine schwächelnde Weltkonjunktur ins Kontor. Zwar profitieren viele Unternehmen von guten Auftragspolstern, doch neue Aufträge lassen häufig auf sich warten und die globalen Unsicherheiten sind noch immer groß. Vieles hängt jetzt davon ab, wie sich wichtige Leitmärkte der Welt, insbesondere China, aber auch Indien, die USA oder Mexiko entwickeln. Ich bin jedoch besonders aus einem Grund für die Zukunft der Branche optimistisch: Wir werden den Maschinen- und Anlagenbau immer brauchen – als Möglichmacher und Enabler für die großen Herausforderungen unserer Zeit, etwa für Klima- und Ressourcenschutz, Kreislaufwirtschaft und digitale Transformation.
Welche Maßnahmen planen Sie als Landesregierung, um Industrieunternehmen und vor allem dem Mittelstand in Nordrhein-Westfalen zu helfen?
Mona Neubaur: Gemeinsam mit Wirtschaft, Kammern und Sozialpartnern arbeiten wir daran, die aktuelle Krise zu überwinden und gehen die strukturellen Herausforderungen bei der doppelten Transformation in Richtung Klimaschutz und Digitalisierung beherzt an. Wir setzen uns mit ganzer Kraft dafür ein, dass Nordrhein-Westfalen bis 2045 die erste klimaneutrale Industrieregion in Europa wird. Im vergangenen Jahr habe ich dazu ganz konkrete „Sieben Punkte für eine starke Industrie“ beschrieben und mit industriepolitischen Maßnahmen für gute Rahmenbedingungen unterlegt. Vorankommen müssen wir beispielsweise endlich bei Planungs- und Genehmigungsverfahren: Wir müssen Verfahren vereinfachen und schneller werden, damit wir Erneuerbare Energien noch rascher ausbauen und Unternehmen zu wettbewerbsfähigen Preisen bereitstellen können. Wir lassen niemanden allein mit den aktuellen Herausforderungen. Deswegen haben wir verschiedenste finanzielle Unterstützungs- und Förderprogramme aufgelegt, seien es die Programme aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), dem Fonds für den gerechten Übergang (JTF), Programme der Europäischen Territorialen Zusammenarbeit (ETZ) oder das Regionale Wirtschaftsförderungsprogramm (RWP). Zudem bietet etwa die NRW.Bank zahlreiche Förderlinien zur besseren Finanzierung von Investitionen. Und lassen Sie mich abschließend ein weiteres Beispiel nennen, das mir am Herzen liegt: Schon Ende 2022 haben wir mit dem Starterpaket für einen klimaneutralen Mittelstand mit Beratungszuschüssen und Krediten ein Maßnahmenbündel geschnürt, um Unternehmen bei der Umstellung auf klimaneutrale Produktion ganz gezielt zu unterstützen.
Zahlreiche Betriebe klagen über zu viel Bürokratie und immer mehr Auflagen. Wie wollen Sie dieses Problem lösen?
Mona Neubaur: Die Landesregierung treibt den Bürokratieabbau konsequent voran und setzt sich dafür ein, Unternehmen von übermäßigen Anforderungen und Aufzeichnungspflichten zu entlasten. Dazu werden wir Bagatellgrenzen einführen, Schwellenwerte anpassen, stärker auf Änderungsmitteilungen setzen und Berichtspflichten überprüfen. Bei neuen Gesetzen wird die Landesregierung prüfen, wo im Gegenzug Bürokratie abgebaut werden kann. Wir arbeiten zudem an möglichst einfachen und schnellen Planungs- und Genehmigungsverfahren, die an sinnvollen Stellen auch mittels automatisierter, digitaler Prozesse beschleunigt werden sollen. Das Wirtschafts-Service-Portal.NRW (WSP.NRW) wird als bundesweit modernstes Dienstleistungsportal für die Wirtschaft weiter ausgebaut. Dazu stehen im Jahr 2024 insgesamt rund 18 Millionen Euro zur Verfügung, mit denen weitere Online-Dienste für eine effiziente und digitale Abwicklung von Verwaltungsleistungen bereitgestellt werden.
Fast ein Drittel der großen Industriefirmen plant oder realisiert bereits die Verlagerung von Kapazitäten ins Ausland. Wie wollen Sie diese Unternehmen davon überzeugen, auch weiterhin in Deutschland bzw. NRW zu produzieren?
Mona Neubaur: Als größtes Bundesland und starker Wirtschaftsstandort im Herzen Europas ist Nordrhein-Westfalen auch in den aktuell herausfordernden Zeiten ein attraktives Land für Unternehmen. Dafür sorgen eine gute Infrastruktur, eine hohe Dichte an Fachhochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen und ein großes Potenzial an gut ausgebildeten Fachkräften. So ist das Interesse bei ausländischen Direktinvestitionen mit 390 Neuansiedlungen und Erweiterungsprojekten aus insgesamt 36 Ländern im vorvergangenen Jahr nach wie vor groß. Die Landesregierung unterstützt Unternehmen bei ihren Investitionsprojekten und der Ansiedlung gemeinsam mit der landeseigenen Außenwirtschaftsgesellschaft NRW.Global Business. Selbstverständlich investieren viele Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen auch im Ausland, um Märkte zu erschließen und nah an ihren Kunden zu sein. Der Aufbau von Betriebsstätten im Ausland ist eine gängige Strategie, um Lieferketten und Produktionen zu diversifizieren und neue Wachstumsmärkte zu erschließen. Das stärkt auch die heimische Wirtschaft. Wir arbeiten gleichzeitig weiter daran, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für starke Investitionen in NRW stetig zu verbessern. Dabei geht es nicht nur um schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, sondern auch um die Gewinnung von Fachkräften über unsere Fachkräfteoffensive NRW.
Sie waren bzw. sind eine starke Verfechterin des Industriestrompreises. Im November 2023 einigte sich die Bundesregierung nun auf dieses Vorhaben. Doch sind die Entlastungen letztendlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein oder bringen sie den Unternehmen einen echten Mehrwert?
Mona Neubaur: Mir ist bewusst, dass die hohen Strom- und Energiekosten viele Unternehmen in Nordrhein-Westfalen vor große Herausforderungen stellen. Als Landesregierung setzen wir uns daher für weitere Entlastungen ein. Die Einigung der Bundesregierung auf ein Strompreispaket ist ein wichtiges Signal, die Wirkung ist aber insgesamt noch etwas zu gering. Mit Blick auf die angespannte Haushaltslage und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum KTF ist zwar nachvollziehbar, dass der Bund das Strompreispaket nun in der vorliegenden Form gestaltet hat. Dennoch setzen wir uns weiter dafür ein, dass der Bund eine Möglichkeit findet, energie- und handelsintensive Unternehmen für die nächsten Jahre noch stärker zu entlasten, auch wenn die Herstellungskosten für Erneuerbare Energien bereits ein wettbewerbsfähiges Niveau erreicht haben.