10 Jahre Module Type Package: Von modularen Abenteuern und Plug-&-Play-Erfolgen

Vor zehn Jahren stand die Prozessindustrie an einem Wendepunkt. Lange Entwicklungszeiten, monolithische Anlagen und immense Integrationsaufwände prägten die Branche. Plug-&-Play? Damals eine ferne Utopie. Doch eine Handvoll Visionäre sah die Chance, mit dem Module Type Package (MTP) das Unmögliche möglich zu machen.

Der Grundstein wurde 2013 mit der NE 148 gelegt, die klar machte: Standardisierte Schnittstellen sind der Schlüssel zur Modularisierung. Ein Jahr später auf der NAMUR-Hauptsitzung wurde das DIMA-Konzept vom Sponsor WAGO präsentiert – ein Meilenstein, der die Branche revolutionieren sollte. Dieses Konzept wurde in Zusammenarbeit mit der TU Dresden (TUD) und der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg entwickelt.

Modularisierung war kein Spaziergang. Projekte wie F3 zeigten, dass nicht nur physische, sondern auch funktionale und steuerungstechnische Unabhängigkeit der Module notwendig war. Diese Erkenntnisse bildeten die Basis für die ersten MTP-Konzepte. Mit einer klaren Vision und einem Ziel vor Augen begann die Reise zu einem globalen Standard, der heute aus der Industrie nicht mehr wegzudenken ist. Doch die Herausforderungen waren enorm. Unternehmen mussten umdenken, neue Technologien wurden eingeführt und standardisierte Prozesse etabliert. Diese Entwicklung verlangte Durchhaltevermögen, aber auch Mut, neue Wege zu gehen.

Die Umsetzung des MTP-Standards erforderte die enge Zusammenarbeit zwischen Betreibern, Herstellern und Normungsgremien. Die ersten Schritte waren holprig. Während die technischen Anforderungen klarer wurden, zeigte sich schnell, dass organisatorische Barrieren überwunden werden mussten. Gremienarbeit, wie sie in sieben NAMUR-Arbeitskreisen mit mehr als 25 Firmen durchgeführt wurde, war essenziell, um die Vielfalt an Perspektiven zu bündeln und in einen praxistauglichen Standard zu überführen. Die Standardisierung erfolgte in der VDI/VDE/NAMUR-2658 Richtlinie, die aus mehreren Blättern bestand, darunter spezifische Aspekte wie Kommunikation, Dienste und HMI.

Diese frühen Jahre waren geprägt von intensiven Diskussionen, unzähligen Plugfests und der ständigen Suche nach besseren Lösungen. Während einige Skeptiker den Nutzen bezweifelten, waren die Befürworter überzeugt, dass MTP die Prozessindustrie auf ein neues Level heben würde. Die ersten Demonstrationen des Standards waren entscheidende Meilensteine, die das Vertrauen in die Technologie stärkten. Man denke an die Hannover Messe 2017, bei der erstmals eine breite Öffentlichkeit die Vorteile modularer Produktion hautnah erleben konnte.

Abbildung 1: Der Gemeinschaftsstand von ZVEI, ProcessNet und NAMUR auf der Hannover Messe 2017 (Quelle: ZVEI).

Von der Idee zur globalen Erfolgsgeschichte

Ab 2014 nahm MTP richtig Fahrt auf. Die Übergabe der DIMA-Ergebnisse an NAMUR und ZVEI 2015 war nur der Anfang. In den folgenden Jahren wurde intensiv an der Weiterentwicklung des Standards gearbeitet. Statt starrer Vorgaben setzte man auf agile, kollaborative Ansätze. Besonders die Hannover Messe 2017 markierte einen Wendepunkt: Unter dem Motto „The Age of Modular Production“ präsentierten 12 Hersteller, acht Anwender und zwei Universitäten erstmals MTP in Aktion (s. Abbildung 1). Selbst die damalige Bundeswirtschaftsministerin Zypries zeigte sich beeindruckt von der modularen Zukunftsvision.

Natürlich lief nicht alles reibungslos. Wer erinnert sich nicht an die erste VDI/VDE/NAMUR-Richtlinie auf CD? Ein Fortschritt – wenn man bedenkt, dass nur 4 % der Laptops 2019 noch ein CD-Laufwerk hatten. Doch solche kleinen Rückschläge konnten die Erfolgsgeschichte nicht aufhalten. 2022 erschien das Buch „MTP – Automation of Modular Plants“, und 2023 wurde der Standard an die Profibus Profinet Nutzerorganisation (PNO) übergeben. Dort wurden nicht nur die Richtlinienblätter überarbeitet und bereit für den internationalen Markt gemacht, sondern auch ein neues Logo mit hohem Wiedererkennungswert geschaffen (s. Abbildung 2). Heute arbeiten Organisationen wie BioPhorum, ISPE und VDMA daran, MTP weiter zu internationalisieren.

Das neue MTP-Logo.

Die Standardisierung brachte auch kulturelle Veränderungen mit sich. Die Umstellung von monolithischen auf modulare Ansätze verlangte ein radikales Umdenken in den Unternehmen. Viele mussten ihre internen Prozesse neugestalten, um von der Flexibilität des MTP profitieren zu können. Dennoch zeigten die Erfolgsgeschichten, dass sich die Mühe lohnt. Das Merck Electronics Technology Center z. B. hat mit MTP die Flexibilität und Interoperabilität seiner Systeme erhöht. Dank Automatisierungssoftware von COPA-DATA und Siemens konnte die Markteinführung neuer Produkte um bis zu 50 % beschleunigt werden. Über 300 MTP-fähige Module und 60 Process Orchestration Layer (POL) Instanzen im Einsatz sprechen eine deutliche Sprache. Plug-&-Produce? Wohl eher Plug-&-Profit!

Und die Zahlen sprechen für sich: Ca. 80 % der OEMs, die sich mit MTP beschäftigen, realisieren zumindest einen Piloten einer MTP-fähigen PEA. Einsparungen von bis zu 50 % bei der Time-to-Market und 70 % weniger Engineering-Aufwand zeigen, dass MTP nicht nur ein Konzept, sondern ein echter Gamechanger ist. Besonders in der Pharmaindustrie hat sich MTP bewährt. Die Branche profitiert vor allem von der gesteigerten Interoperabilität und einer signifikanten Risikominimierung in der Herstellung: Das neue MTP-Alarm-Konzept erfüllt die hohen Sicherheitsanforderungen der Pharmaindustrie und ermöglicht nun eine effizientere Produktion.

Bereit für die Zukunft

Die Erfolgsgeschichte des MTP zeigt, dass jegliche Innovation Zeit, Geduld und eine klare Vision erfordert. Es war ein Weg voller Herausforderungen, aber auch voller Meilensteine. Jedes Plugfest, jede neue Richtlinie und jede gelungene Implementierung trugen dazu bei, das Vertrauen in die Technologie zu stärken. Während die Industrie heute von den Vorteilen profitiert, erinnern sich die Pioniere an die vielen Hürden, die auf dem Weg überwunden wurden. Vom ersten Tutzing-Symposium 2009 bis hin zu den internationalen Kooperationen – MTP hat die Prozessindustrie nachhaltig geprägt.

Nach einer Dekade Standardisierungsarbeit ist MTP bereit, das nächste Kapitel zu schreiben. Mit MTP 2.0 wird die Implementierung noch einfacher, die Versionierbarkeit und das Releasemanagement effizienter. Die Vision bleibt: Eine Welt, in der Modularisierung zur Selbstverständlichkeit wird. Die Standardisierung hat ihre Hausaufgaben gemacht – jetzt liegt es an der Industrie, den Ball aufzunehmen. Die nächste Phase der modularen Revolution wartet. Die Zukunft ist modular. Sind Sie bereit?