Digitalisiertes Industriezeitalter

Viele Unternehmen der Armaturenindustrie setzen immer stärker auf die Digitalisierung. (Quelle: SAMSON PFEIFFER)

Die Digitalisierung hält Einzug in die Welt der Industriearmaturen. Immer mehr Unternehmen setzen auf die Vernetzung von Maschinen und Anlagen, um Prozesse zu optimieren und Kosten zu senken. Intelligente Armaturen, die mit Sensoren und Messgeräten ausgestattet sind, können hierbei eine zentrale Rolle spielen. Sie ermöglichen eine permanente Überwachung und Steuerung von Prozessen in Echtzeit, was nicht nur zu einer höheren Effizienz, sondern auch zu einer erhöhten Sicherheit beiträgt.

Die digitale Transformation ist unausweichlich geworden und hat sich als allgemeine Erkenntnis auch in der deutschen Industrie durchgesetzt. Dennoch variiert das Tempo der Implementierung an verschiedenen Orten erheblich. In der Regel sind große Konzerne den kleineren und mittelgroßen Unternehmen einen Schritt voraus. Dies ist nicht überraschend, da neue digitale Verfahren oft etablierte Prozesse herausfordern. Besonders für mittelständische Unternehmen birgt dies Risiken für einen reibungslosen Geschäftsbetrieb. Neben anfänglichen Kosten entsteht auch zusätzlicher personeller Aufwand.

Die Unternehmen der Armaturenindustrie haben aber längst erkannt, dass die Vorteile bei weitem größer sind als die Risiken. „Die digitale Transformation ist für uns eine Selbstverständlichkeit und zudem eine Grundbedingung für Wachstum. Das gilt gerade für den Mittelstand mit kleinerer Personalausstattung“, sagt etwa Florian Bälz vom Armaturen- und Anlagenhersteller Baelz. Deshalb treibt die Industrie die Digitalisierung Schritt für Schritt auf verschiedenen Ebenen voran.

Digitale Abnahmen und Audits für Zertifizierungen und Prüfungen sparen Kosten und Zeit. (Quelle: REMBE GmbH Safety + Control)

Deutschland steht 2022 im von der EU-Kommission herausgegebenen Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) auf dem 13. Platz der 27 Mitgliedsstaaten. Europas größte Volkswirtschaft habe in den vergangenen fünf Jahren gute Fortschritte gemacht, heißt es dort. Gerade bei der Integration der Digitaltechnik in Unternehmen wird in Brüssel aber noch viel Verbesserungspotenzial gesehen.

Die deutschen Armaturenhersteller wollen dieses Potenzial auf jeden Fall nutzen. „Die Unternehmen unserer Branche haben erkannt, dass sie den Weg der Digitalisierung gehen müssen, weil sie sonst an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Wer früh anfängt und schon Erfahrungen sammeln kann, bevor andere mitziehen, kann aus der Transformation sogar einen Wettbewerbsvorteil ziehen“, sagt Laura Dorfer, Geschäftsführer des Fachverbands Armaturen im VDMA.

Digitales Typenschild

Ein ehrgeiziges Beispiel für die digitale Transformation ist die Entwicklung digitaler Typenschilder, quasi eine Erweiterung der bisher an jedem Aggregat angebrachten Plaketten. An diesen konventionellen Schildern liest man bislang einige wenige Basisdaten wie das Baujahr und die Seriennummer ab. Im digitalen Typenschild kann man darüber hinaus alle für das Produkt relevanten Daten, beispielsweise Datenblätter und Betriebsanleitungen abrufen. Mit einem Tablet oder Handy wird ein QR-Code auf dem Produkt abgerufen. Durch die Verbindung mit dem Internet werden alle relevanten Daten zugänglich gemacht. „Daran arbeitet die Armaturenindustrie derzeit“, sagt Hans Zwart, Director Cognitive Solutions, bei der Samson AG in Frankfurt. Das Vorhaben ist nicht trivial. „Die erste Aufgabe ist es, zu standardisieren, denn Lieferanten und Anlagenbetreiber haben ihre jeweils eigenen QR-Codes oder auch Bar-Codes“, erklärt Zwart.

Die minimal benötigen Daten eines Regelventil Sollwert und Ventilstellung. (Quelle: UREASON NL B.V.)

Darüber hinaus sei es extrem wichtig, ein Sicherheitsumfeld zu schaffen, um zu verhindern, dass Fremde über Wifi eindringen und die Anlage hacken. „Es ist nicht einfach, aber es ist die Zukunft. Deshalb machen viele schon den ersten Schritt, wenigstens ein digitales Typenschild zur Verfügung zu stellen, auch wenn die anderen Anforderungen noch nicht erfüllt sind.“

Bestandsarmaturen fit für Industrie 4.0 machen

Jedes Jahr entstehen Kosten in Millionenhöhe aufgrund von ventilbedingten Ausfällen. Insbesondere Regelventile sind anfällig für ungeplante Stillstände. Da es in manchen Anlagen jedoch hunderte solcher Regelarmaturen gibt, entpuppt sich das Aufspüren der Schwachstellen oft als Herausforderung. Mit Hilfe von gesammelten Betriebsdaten kann dieses Problem gelöst werden. Dafür braucht es – anders als häufig angekommen – in vielen Fällen noch nicht mal neue Sensoren, Instrumente oder Hardware.

Eins der großen Industrie 4.0 Missverständnisse ist die weitverbreitete Annahme, dass man nicht genug geeignete Daten hat und erstmal neue Sensoren installieren muss. In den allermeisten Fällen stimmt das nicht und man kann ohne neue Sensoren und nur mit den bereits vorhandenen Daten die gewünschten Ergebnisse erzielen. Genau das ist der Fall bei der Zustands- Diagnose von Regelventilen mithilfe von Datenanalyse. Die benötigten Daten sind schon vorhanden. Es müssen keine neuen Sensoren, Instrumente oder Hardware installiert werden. Für die Analyse werden nur der Sollwert und die Ventilstellung aus der Regelventilsteuerung benötigt. Wenn keine Stellungsrückmeldung verfügbar ist, werden zusätzliche Daten zu den kontrollierten Messwerten (Durchfluss/Füllstand/Druck/ Temperatur) benötigt. Auch diese Daten sind immer vorhanden.

„Dafür gibt es eine App“

Im Juli 2008 wurde die Softwarewelt auf den Kopf gestellt, als Apple den App Store einführte, der es den Kunden ermöglichte, Anwendungen von Drittanbietern oder „Apps“ zu kaufen, die auf iPhones ausgeführt werden konnten. Mit Industrie 4.0 halten Apps jetzt auch Einzug in die industrielle Automatisierung, die Instandhaltung und das Asset Management. Genau wie beim iPhone erfühlt eine Industrie-4.0-App eine bestimmte Funktion. Andere Funktionen werden dann von weiteren Apps übernommen.

Die allermeisten Industrie-4.0-Apps werden entwickelt, um eine bestimmte Maschine oder eine bestimmte Gruppe von Instrumenten oder Maschinen in einer Anlage mithilfe von den Betriebsdaten zu überwachen. Die Apps beinhalten die speziell entwickelten Algorithmen für die Zustands-Diagnose und zusätzlich noch Schnittstellen für die Betriebsdaten der Anlage und Schnittstellen, um die Ergebnisse an z.B. EAM-Systeme zu kommunizieren.

Intelligente Ventildiagnose (Quelle: SAMSON)

Die auf Industrie 4.0 spezialisierte Firma UReason hat Ende 2022 so eine App für die Zustands-Diagnose von Regelventilen auf den Markt gebracht. Die sogenannte Control Valve App von UReason basiert auf dem Fachwissen von UReason über Ventile, Antriebe und den entsprechenden Prozessen. Sie verwendet intelligente Modelle, die Fachwissen und künstliche Intelligenz kombinieren, um eine detaillierte Analyse des Zustandes und Empfehlungen für Regelventile zu liefern. Die Control Valve App wird von Anlagenbetreiben in der Chemie-, Pharma- und Energieindustrie verwenden, um Regelventile zu überwachen und so die Planung der Instandhaltung zu optimieren, Energieverluste zu minimieren, Fehler rechtzeitig und ungeplante Stillstände zu vermeiden.

Das Feld der Zukunft mit mehr Daten und mehr Konnektivität gestalten

Feldgeräte werden immer intelligenter und generieren mehr und mehr Daten. Heutzutage sind Daten ein wertvolles Gut, auch in der Prozessindustrie. Bislang liegt jedoch ein Großteil der Informationen ungenutzt in der Feldebene. Oftmals stehen Anlagenbetreiber vor dem Problem, die Daten aus dem Feld zu bekommen, oder der Weg ist mit einem enormen Aufwand verbunden. Welche Möglichkeiten gibt es, an die Daten zu kommen und wie nutzt man die Daten?

Eine Möglichkeit mit dieser Menge an Informationen umzugehen, ist eine erste Auswertung der relevanten Daten dezentral im Feldgerät. So werten Stellungsregler mit integrierter Ventildiagnose fortlaufend die gesammelten Daten aus und führen dabei, durch sinnvolles Zusammenführen der korrelierenden Messpunkte, eine Selbstdiagnose und Zustandsbetrachtung der Armatur durch. Kommt es zu einer Anomalie, wird je nach Bedarf eine konsolidierte Meldung an das Leitsystem gesendet, etwa in Form eines Wartungsbedarfs. Dabei wird zum Beispiel beim Anfahren der Schließstellung die Endposition überwacht. So kann ein Versatz in negativer Richtung auf einen Verschleiß des Sitz-Kegel-Systems hinweisen, woraufhin eine Meldung zur Überwachung der Armatur hinsichtlich des Sitzes oder Kegels generiert wird. Für den Betrieb der Anlage genügt an dieser Stelle eine Aussage über die Funktionsfähigkeit der Armaturen.

Im Falle von sicherheitsgerichteten Armaturen muss neben der Aussage zur Funktionsfähigkeit der Armatur noch die Dokumentation sichergestellt werden, wie und wann die Funktionsfähigkeit bewiesen wurde. Dies erfolgt über wiederkehrende Tests, beispielsweise dem Partial Stroke Test, bei dessen Durchführung die sich nur in einer Position verharrende Sicherheitsarmatur über einen partiellen Hub oder Drehwinkel verfahren wird. Dieser Test kann automatisiert vom Leitsystem oder vom intelligenten Stellungsregler selbst durchgeführt werden. Bei der Ventildiagnose EXPERTplus der digitalen Stellungsregler von SAMSON, werden für bis zu 52 Tests der Zeitpunkt, das Resultat, das Losbrechmoment, die definierte Zeit T86 und weitere test-relevante Werte aufgenommen. Diese Daten speichert der Stellungsregler ab und wertet sie dezentral über die integrierte Diagnosefunktion aus, sodass nur ein Bruchteil der Informationen weitergeleitet wird. Warum ist es nun sinnvoll, alle Daten zu sammeln und zur Verfügung zu haben?

Generell lässt sich sagen, dass je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto genauer kann eine Aussage in Bezug auf den Zustand von Armaturen und Prozessen getroffen werden. Dies setzt jedoch voraus, dass die gesammelten Daten zweckmäßig gewählt sind. Werden die gesammelten Daten zur Bildung eines digitalen Zwillings genutzt, gilt auch hier: je mehr Datenpunkte verfügbar sind, desto näher liegt der digitale Zwilling an der physischen Anlage und desto genauer wird die Aussagekraft.

Eine weitere Relevanz bilden die Datenpunkte hinsichtlich einer Aussage über den allgemeinen Zustand der Anlage. So kann ein Asset-Management-System tagesaktuell mit Informationen versorgt werden und eine Aussage über alle Assets treffen, die zum Beispiel zur Unterstützung der Wartungsplanung genutzt werden können. Weiter kann das Asset-Management-System Optimierungspotentiale in der Anlage aufdecken, sodass sich Veränderungen im Regelverhalten der Regelarmaturen feststellen lassen und gegebenenfalls einen unruhigen Prozess erkennen. Sind die richtigen Daten verfügbar und werden diese zielgerichtet genutzt, besitzen sie nicht nur das Potential, Prozesse zu verbessern, sondern auch Kosten einzusparen.