KI in der industriellen Arbeit: Perspektiven und Gestaltungsoptionen

In der neuen Expertise „Künstliche Intelligenz und industrielle Arbeit – Perspektiven und Gestaltungsoptionen“ des Forschungsbeirats Industrie 4.0 untersuchen das Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM und das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML die Integration von Künstlicher Intelligenz in die industrielle Arbeit.

Die Untersuchung basiert auf einer umfassenden Literaturrecherche sowie auf insgesamt 25 Interviews und zwei Workshops mit Fachleuten, insbesondere aus der Industrie. Im Fokus der Expertise liegen die Branchen Maschinen- und Anlagenbau, Fahrzeugbau und Automatisierungstechnik im Hinblick auf den Einsatz von KI im Produktionsumfeld. Die Interviews wurden in drei Themenbereiche unterteilt: den Einsatz KI-basierter Systeme, die Folgen der Nutzung KI-basierter Systeme für den Beschäftigteneinsatz sowie die Gestaltungsansätze und Entwicklungsperspektiven KI-gestützter industrieller Arbeit. In den beiden Workshops wurden Fokusgruppendiskussionen durchgeführt, um auf Basis der Interviewergebnisse noch tiefere und umfassendere Einblicke zu gewinnen [1].

KI als zukünftiger Kollege des Menschen

Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, eine zweite Welle der Industrie 4.0 zu initiieren. Wie bei den bisherigen Forschungen zu Industrie 4.0 gewinnt somit die Frage nach dem Wandel industrieller Arbeit und ihren Gestaltungsmöglichkeiten an Bedeutung. Die bisherige Forschung zeigt, dass der Technikeinsatz problematisch sein kann, wenn er zu monotonen Tätigkeiten infolge von Automatisierungslücken führt. Wünschenswert ist hingegen, wenn die verbleibenden Tätigkeiten für den Menschen weder zu Über- noch zu Unterforderung führen. Im Vergleich zur bisherigen Automatisierung und Digitalisierung der industriellen Produktion kann KI unvorhersehbare und nicht im Vorhinein geplante Verarbeitungsschritte ausführen, wodurch sie zu einem gleichwertigen Akteur des Menschen wird – eine Art Kollegin oder Kollege. Diese Zusammenarbeit wird auch als hybride Intelligenz bezeichnet. Durch die unterschiedlichen Stärken von Mensch und KI kann ihre komplementäre Zusammenarbeit erhebliche Vorteile bringen [1], [3], [4], [5].

KI steht in den Startlöchern – Qualitätsprüfungen besonders verbreitet

Die Einführung von KI ist gemäß den durchgeführten Interviews vielerorts in den Startlöchern. 44 % der befragten Fachleuchte berichten, dass sie bereits eine KI-Anwendung im produktiven Einsatz kennen. Meist handelt es sich hierbei um eine einzelne oder einige wenige Anwendungen. Weitere 36 % der befragten Fachleute geben an, dass sich KI gerade in der Einführung oder Pilotierung befindet. Bei den übrigen 20 % ist KI noch gar nicht im Einsatz. Dies bestätigt die Annahme, dass Künstliche Intelligenz die industrielle Produktion zunehmend durchdringt, aber noch nicht flächendeckend verbreitet ist. Die spezifischen Anwendungsfelder von KI im Produktionsumfeld sind in Abbildung 1 dargestellt. Besonders häufig sind KI-Anwendungen bereits im Bereich der Qualitätskontrolle im Einsatz, beispielsweise bei optischen Qualitätsprüfungen durch eine automatisierte Bildauswertung. Ein weiteres häufig genanntes Anwendungsfeld ist die Überwachung von Produktionsprozessen, wie zum Beispiel eine KI-gestützte prädiktive Wartung. Insgesamt erwartet die Mehrheit der Fachleute, dass sich in fünf Jahren in allen acht aufgeführten Anwendungsfeldern KI-Anwendungen im Einsatz befinden. Dies gilt auch für Bereiche wie die Planung und Entwicklung von Produktionssystemen, in denen KI bisher eher wenig genutzt wird, wie beispielsweise KI-gestützte Ergonomieanalysen [1].

Veränderung von Jobprofilen durch KI

Die Fachleute erwarten, dass KI zukünftig in den meisten Jobs einige Tätigkeiten übernehmen wird, jedoch keine vollständige Substitution von Jobprofilen erfolgen wird. Vier spezifische Jobprofile wurden hinsichtlich der Auswirkungen von KI näher untersucht: die Fachkraft für Lagerlogistik, die SPS-Programmiererin, die Produktionsplanerin sowie die Hilfskraft in der Montage. Dabei wurden mögliche Veränderungen der Jobprofile durch verschiedene KI-Anwendungen diskutiert und sowohl ein Best-Case- als auch Worst-Case-Szenario für jedes Jobprofil erstellt. Die Fachleute erwarten, dass Effizienz & Produktivität durch den Einsatz von KI in allen Jobprofilen zunehmen werden.

Bei anderen Aspekten wie Kompetenzanforderungen oder Arbeitszufriedenheit sind die Einschätzungen jedoch ambivalent. Die Studie zeigt, dass die Auswirkungen auf die Beschäftigten nicht allein durch die eingeführten KI-Anwendungen bestimmt werden können. Die Arbeitsorganisation und begleitende Maßnahmen spielen ebenso wie die konkrete Gestaltung der Technologie eine entscheidende Rolle. Mögliche Entwicklungen der Arbeitswelt sind in Abbildung 2 dargestellt. Anstatt einer Substitution oder eines Upgrading von Jobprofilen wird jedoch eher eine Polarisierung der Arbeit vermutet: die Jobprofile der Produktionsplanerin sowie der SPS-Programmiererin werden tendenziell aufgewertet, während die Jobprofile der Fachkraft für Lagerlogistik sowie der Hilfskraft in der Montage eher abgewertet werden [1], [2].

Handlungsfelder für eine humanzentrierte KI-Gestaltung

Um eine menschorientierte KI-Gestaltung zu verwirklichen und beispielsweise eine Abwertung von Jobprofilen zu verhindern, wurden die Fachleute nach empfehlenswerten Maßnahmen gefragt. Diese wurden in neun Handlungsfelder kategorisiert, die in Abbildung 3 (nächste Seite) dargestellt sind und eine umfassende Grundlage für die erfolgreiche und humane Integration von KI in industrielle Arbeitsprozesse bieten.

Die Programme und Maßnahmen innerhalb eines Unternehmens sollten in Form einer KI-Strategie verankert sein, die wiederum ein Teil der Digitalisierungs- oder Unternehmensstrategie sein kann. Eine klare Organisation der KI-Einführung ist notwendig, um sowohl eine Top-down-Koordination als auch die Bottom-up-Sammlung von Ideen zu gewährleisten. Die Mitgestaltung der KI-Einführung durch betroffene Mitarbeitende trägt zur Schaffung von Akzeptanz bei, stellt aber vor allem auch die Nutzung des Erfahrungswissens sicher. Die Verfügbarkeit und Qualität von Daten sind grundlegend für den Einsatz von KI, daher müssen Unternehmen sicherstellen, dass sie über die notwendigen Daten verfügen.

Vor der Einführung von KI sollten bestehende Prozesse analysiert und bewertet werden, um Optimierungspotenziale durch KI zu identifizieren. Eine geeignete Zusammenarbeit & Kultur sind notwendig, um bereichsübergreifend Daten zu bündeln und durch die Mitwirkung verschiedener Domänen neue Erkenntnisse zu gewinnen. Sensibilisierung und Transparenz über die Ziele und Funktionsweise der KI-Einführung sind wichtig, um Ängste oder falsche Erwartungen zu vermeiden. Der Aufbau und die Förderung interner Kompetenzen sind entscheidend, um Mitarbeitende auf die Arbeit mit KI vorzubereiten und deren Potenziale voll auszuschöpfen. Die Nutzung externer Kompetenzen kann Unternehmen helfen, Lücken im KI-Wissen zu schließen und Lösungen besser skalieren zu können [1].

Fazit

Einzelne Tätigkeiten innerhalb von Jobprofilen können zukünftig durch KI nahezu vollständig automatisiert werden. Aller Voraussicht nach wird dies aber weder zu einem Wegfall von Arbeitsplätzen noch zu einer Reduzierung von Arbeitstätigkeiten führen, da neben wegfallenden Tätigkeiten auch neue Tätigkeiten durch KI entstehen werden. Es ist daher zu erwarten, dass sich vor allem der Zuschnitt von Jobprofilen ändern wird. Diese sollten auf ein gleichwertiges Zusammenspiel von Mensch und KI ausgelegt werden und zur Zufriedenheit, Persönlichkeitsförderung sowie Sozialverträglichkeit beitragen. Angesichts der rasanten Entwicklungen im Bereich der (generativen) KI ist es für Unternehmen zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit von entscheidender Bedeutung, proaktiv zu handeln und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das sowohl technologischen als auch menschlichen und sozialen Anforderungen gerecht wird. Die Expertise des Forschungsbeirats steht auf der acatech Webseite zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Anwendungsfelder von KI im Produktionsumfeld [1].

Entwicklungsszenarien KI-gestützter Arbeit [1], [2].

Handlungsfelder auf Grundlage der Einschätzungen der Fachleute [1].

Referenzen

[1] Forschungsbeirat Industrie 4.0/acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Hrsg.). (2024). Künstliche Intelligenz und industrielle Arbeit – Perspektiven und Gestaltungsoptionen. DOI: 10.48669/fb40_2024-1

[2] Hirsch-Kreinsen, H., Ten Hompel, M., Ittermann, P., Falkenberg, J., & Dregger, J. (2016). Social Manufacturing and Logistics: Konturen eines Leitbildes digitaler Industriearbeit: Bericht des Forschungsprojektes“. Technische Universität Dortmund, Wirtschafts-und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Forschungsgebiet Industrie-und Arbeitsforschung.

[3] Huchler, N. (2022). Komplementäre Arbeitsgestaltung. Grundrisse eines Konzepts zur Humanisierung der Arbeit mit KI. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 76(2), 158-175.

[4] Jarrahi, M. H. (2018). Artificial intelligence and the future of work: Human-AI symbiosis in organizational decision making. Business horizons, 61(4), 577-586.

[5] Schlick, C., Bruder, R., & Luczak, H. (2018). Arbeitswissenschaft. Springer-Verlag.