In den beiden betroffenen Bundesländern und bei den Wasserverbänden, die die Talsperren betreiben, will man lernen, die Aufarbeitung wurde in Angriff genommen. Sie vermittelt aber nicht den Eindruck, dass man alles lernen will: An den zweiten Hochwasser-Typ, das Talsperren-Thema, geht man nur mit ganz spitzen Fingern heran. Die Ausflüchte lauten: Es ist ja fast alles gut gegangen.
Auffällig ist, dass die Akteure bei einem kleinteiligen und isolierten Untersuchungsansatz stehen bleiben. Die Frage aber, wie Talsperren unter den Bedingungen des Klimawandels – bei völlig veränderten Wetterverhältnissen also – so zu regulieren sind, dass sie den Hochwasserschutz auch in Zukunft zu gewährleisten vermögen, ist, soll sie fruchtbar gestellt werden, deutlich großräumiger anzugehen. Neuartige Großwetterlagen der Art „Tief Mitteleuropa“ können zu stationären Dauerniederschlägen führen, die ein ganzes Flusseinzugsgebiet betreffen. Ein solches Großtief kommt hierzulande derzeit im Schnitt an neun bis 15 Tagen im Jahr vor – und ist kaum örtlich präzise mit fünf Tagen Vorlauf vorherzusagen.
Die Talsperrenbetreiber verweisen ihrerseits zu Recht darauf, dass sie nur bei einem Vorlauf von fünf Tagen noch hinreichend viel Stauraum zu schaffen vermögen – angesichts der üblicherweise hohen Füllstände der Talsperren im Sommer. Das ist ein wirkliches Dilemma; und neuartig. Laut Deutschem Wetterdienst (DWD) wird sich bis zum Jahre 2100 eine flutgefährliche Großwetterlage um etwa 20 Prozent häufiger einstellen als bislang. Hier wird man ohne eine gemeinsame Arbeitsgruppe von DWD, Talsperrenbetreibern und Aufsichtsbehörden nicht weiterkommen. Der DWD hat zwar eine Arbeitsgruppe zur talsperrengeeigneten Prognostik eingesetzt, aber gegen alle Grundsätze kluger Wissenschaft werden ihre Fragestellungen per Vertraulichkeitsgebot der öffentlichen Diskussion vorenthalten.
Hohes Risiko für Regionen rund um das Mittelgebirge
Das Thema, wie Talsperren unter den Bedingungen des Klimawandels zu managen sind, betrifft allerdings nicht allein den Wupperverband oder allein die Bundesländer Nordrhein- Westfalen und Rheinland-Pfalz. In Deutschland gibt es mehr als 370 Talsperren – die Mehrzahl von ihnen muss sich auf die Folgen des Klimawandels einstellen. Besonders betroffen von anhaltenden Extremniederschlägen werden die Mittelgebirge sein.
Die Landkreise, die in Zukunft am stärksten mit Extremniederschlägen rechnen müssen, ziehen sich wie ein Band vom südlichen Nordrhein-Westfalen, von Teilen Rheinland-Pfalz quer über Hessen und Südthüringen bis hinunter in den Osten und die Mitte Bayerns. Das sagt eine Studie des Hamburger Climate Service Center (CSC) voraus, erstellt im Jahre 2015 für den Gesamtverband der Versicherungswirtschaft. Das Thema „Anpassung des Talsperrenmanagements an den Klimawandel“ betrifft mindestens fünf Bundesländer. Faktisch aber will man, so kündigt die Landesregierung NRW an, „die bestehenden Bewirtschaftungskonzepte für Talsperren“ lediglich „anhand der Erkenntnisse aus dem Hochwasser 2021“ überprüfen. Und auch das nur in „Gesprächen mit den betroffenen Wasserverbänden“.